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Lichtkomposition 1 (2004)
von Bernard Boissel

In fast zweijähriger Konzeptionsarbeit
hat sich der französische Künstler Bernard Boissel intensiv
mit dem Innenraum des Foyers im Isargebäude des EPA auseinandergesetzt
und ein besonderes Lichtkonzept für die Entréesituation entwickelt.
 
Ziel der neuen Eingangshallengestaltung war es,
dem architektonisch statischen Gefüge aus Orthogonal-Achsen
ein entmaterialisiertes Gestaltungselement (Licht) hinzuzufügen,
das infolge einer raffinierten Steuerung feinste Nuancenänderungen erfährt.
Den konzeptuellen Grundstein der Komposition
bilden drei Konstituenten der Biorhythmik des Menschen.
Sie bestimmen den Takt, dem die Programmierung der Lichtinstallation folgt.
Die Partitur erlaubt es, die subtilen Veränderungen,
die sich einem flüchtigen Betrachter entziehen, lesbar zu machen.

Ausgangspunkt der Gestaltung
war zunächst die Transparenz der senkrechten Quaderachsen,
die Wandverschalung optisch gliedern.
Jeder der sechs Quader ist innen mit einem farblosen 10 mm starken Plexiglas beschichtet.
Der Glaskubus selbst ist leer.
In seinem Inneren befinden sich je zwei Tageslichtröhren (à 6500 Kelvin),
die von Farbfiltern überzogen sind.
Grundtöne des Farbspektrums der Filter sind gelb,
orange, blau, violett, rosé und grün.
Die Lichtröhren bestimmen die Lichtachsen,
auf denen das Konzept des Künstlers basiert.
Allein die Steuerung der Lichtintensität einer jeden Röhre
bewirkt eine jeweils andere Mischung der Nuancen
in einem bestimmten Rhythmus.
Dabei folgen jeweils vier der insgesamt zwölf Lichtachsen
einem bestimmten biorhythmisch festgelegten Takt (z.B. 23 min.),
der innerhalb dieser Vierer-Gruppe (s-Koordinate) kontinuierlich eingehalten wird.
Die vier ausgewählten Lichtachsen, die jeweils einem Rhythmus unterworfen sind,
sind dabei räumlich voneinander entfernt.
Pro biorhythmischer Zeitachse (t-Koordinate: 23 min./ 28 min./ 33 min.)
lassen sich jeweils 40 Knotenpunkte erkennen,
an denen sich die Stärke der vier synchron geschalteten Lichtachsen
zu einem festgesetzten Zeitpunkt verändert.
Wie der Partiturausschnitt des 23minütigen Takts erkennen lässt,
starten vier Lichtachsen (z.B. Nr. 1, 5, 8, 11) mit der gleichen Lichtintensität von 100%,
nach 40 Sekunden verändern sich bereits zwei der Achsen (z.B. Nr. 5, 11),
nach weiteren 90 Sekunden haben alle Lichtröhren
ihre Stärke in unterschiedlichem Maße reduziert.
In unregelmäßigen Sekundenabständen (und dem bloßen Auge kaum erkennbar)
ergeben sich also kontinuierlich Veränderungen der Lichtintensität,
die dadurch, dass die anderen Lichtachsen simultan den Taktvorgaben
von 28 Minuten und 33 Minuten folgen,
ohne Partitur kaum mehr visuell differenzierbar sind.
Nach dem Ablauf des 23minütigen Takts (bzw. nach 28 oder 33 Minuten)
erreichen die vier Achsen wieder die anfängliche Stärke von 100%
und der Rhythmus beginnt von neuem.
Die medial geprägte visuelle Erfahrung,
die von schnellen Filmschnitten und ultrakurzen Reaktionen des Beobachters lebt,
konterkariert Boissel mit minimalen Lichtveränderungen,
die zu fast meditativer Kontemplation auffordern.
Indem er sich des menschlichen Biorhythmus bedient,
schärft der Künstler das Bewusstsein für das ureigene menschliche Maß.

Kristine Schönert

Skizze zur Lichtpartitur I